Unterabschnitte


Der Gegenstand


Bedingungen für Frieden – genetisch gedacht

Was sind grundlegende Bedingungen von Frieden? Für das Leben in Staaten wissen wir das im Grunde. Platon und die Bibel nennen es „Gerechtigkeit“, aber das klärt nicht viel, wenn man nicht sagen kann, wie diese „Gerechtigkeit“ funktionieren soll.

Vielleicht hilft ein provisorischer Versuch12:

  1. Wir Menschen sind verschieden, haben verschiedene Prägungen, Interessen, Ziele. - Diese Tatsache muss zunächst einmal anerkannt werden. Es gibt keine konfliktfreien sozialen Einheiten, weder kleine noch große.
  2. Also sind Verfahren nötig, mit denen diese Unterschiede, ja Gegensätze nicht konfliktfrei, aber doch gewaltfrei zum Ausgleich gebracht werden können.
  3. Die Menschen müssen also sowohl im Kleinen als auch im Großen an der Lösung der Konflikte beteiligt sein, vielleicht am Besten durch gemeinsame Ziele, die wiederum nur im Konflikt entstehen und bearbeitet werden.
  4. Die Menschheit hat verschiedene gesellschaftliche und politische Systeme / Institutionen entwickelt, um das friedliche Zusammenleben im Staat zu gestalten.
  5. Natürlich mit dem Notausgang: Wenn Beteiligte sich nicht an die Regeln des friedlichen Konfliktaustrags halten, wird auch mit Gewalt eingegriffen. Diese Gewalt muss allerdings in friedlich erzeugten Regeln eingehegt sein.

So weit die Regeln im Staat. Aber wie steht es mit Regeln für die Verhältnisse zwischen den Staaten? Da fehlt ja nicht nur die letztlich übergreifende Instanz, die im Zweifel mit Gewalt den Frieden durchsetzt. Da gibt es vor allem keine gegenseitige Anerkennung der verschiedenen Prägungen, Interessen und Ziele. Das ist ja auch zu verstehen, wenn man die Unterschiede weit auseinander liegender Kulturen betrachtet. Nur: Das ändert nichts an der Aufgabe, miteinander – also unterschiedliche Staaten, Kulturen etc. – in Frieden leben zu müssen. Dieses Ziel hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg die UNO gestellt. Sie anerkannt die Gleichheit der Staaten und will, dass die Mitgliedsstaaten ihre Konflikte friedlich unter ihrem Dach lösen. Der Einsatz von Militär durch die Staaten ist nur zur Selbstverteidigung erlaubt.

Wir wissen alle, dass der bloße Wunsch allein diese Organisation noch nicht zu einem durchgreifenden Erfolg verholfen hat. Aber die Idee war in der Welt: Konflikte friedlich nach den Regeln eines Rechts zu lösen. Und diese Idee ist nicht nur nicht wieder aus der Welt zu kriegen, sie verlangt auch immer wieder nach Bestätigung, nach Durchsetzung.

Aber die Sache ist noch einen Dreh komplizierter: Seit dem Ausgang der Neuzeit wird nach „nationaler Selbstbestimmung“ verlangt: Die Nation hat ihren eigenen Staat, der nur ihr gehört. Die Landkarte eines Kontinents sähe dann wie ein wildbunter Flickenteppich aus: Jede Nation ihr eigener Flicken, jeder Flicken vom anderen klar abgegrenzt.

In Wirklichkeit fallen in weiten Teilen Europas die Grenzen von Nationen und Staaten nicht zusammen. In vielen Staaten leben Angehörige der führenden Nationen von Nachbarstaaten als Minderheiten, manche Minderheit sieht sich als eigene Nation, die aber von der vorherrschenden Nation bestenfalls als Untergruppe anerkannt wird. Heutige Staaten entstanden oft aus dynastischen Politiken vergangener Herrscherhäuser, manche formten diese Staaten zu Nationen, auch mit Gewalt, manche Nationen entstanden gegen diese Herrscher.

Also ein gesamteuropäisches Kuddelmuddel. Wenn über weite Strecken Nation und Staat nicht identisch sind, dann müssen andere Formen der politischen Institutionalisierung gesucht werden. Etwa: Der Staat als gemeinsames Dach der unter ihm lebenden Ethnien, Verbände der Ethnien über die Staatsgrenzen hinaus, regionale Kooperationen über Staatsgrenzen hinweg. – Lässt sich so allgemein ganz einfach sagen.




Was den gegenwärtigen Krieg angeht, stehen stehen sich im Westen zwei Deutungen gegenüber, so Johannes Varwick13:

Die beiden Sichtweisen sind, dass erstens nach russischem Drehbuch die Staatlichkeit der Ukraine vernichtet werden sollte als Ausgangspunkt für eine neue Landkarte Europas, inklusive Rückkehr des Baltikums in die ehemalige Sowjetunion. Mit diesem Russland konnte es gewissermaßen nur Krieg geben und jede Verhandlung, jeder Interessenausgleich wäre vergebens. Diese Sichtweise vertritt die Mehrheit der Osteuropaforscher. Die andere Sichtweise – und die halte ich für genauso legitim – ist, dass wir zweitens den Versuch hätten machen müssen, mit diesem unangenehmen Russland über einen Interessenausgleich zu reden. Wenn es Russland mithin nicht in erster Linie darum ging, die Ukraine dem russischen Imperium einzuverleiben, sondern darum, kein feindliches Militärbündnis wie die Nato an seiner Grenze stehen zu haben, dann wäre ein Interessenausgleich möglich gewesen. Aber der Westen hat die ukrainische Strategie voll übernommen und wollte sie ins westliche Bündnis ziehen. Wir wussten, dass das fast eine Kriegserklärung an Russland ist. Das haben wir nicht verstanden oder besser gesagt: Wir wollten es nicht verstehen.





Die Sicherheit Europas – der Frieden in Europa


Blick auf das russländische Reich

Für die erste Sicht wird in der Literatur der Osteuropawissenschaftler der Ausdruck „Imperialismus“ verwendet. Damit ist nicht ein Imperialismus des Kapitalexports gemeint, der den engen heimischen Markt erweitern soll. Sondern es geht um die Fortsetzung des russischen Zarenreichs: Ohne geografischen Schutz gegen Feinde und ohne geografische Begrenzung dehnten sich das Großfürstentum Moskau und das russische Kaiserreich nach allen Seiten aus, um Feinde so weit wie möglich fern zu halten, gliederten sich dabei große Landstriche im Osten und Süden an und – vor allem – siegten in der Konkurrenz mit Polen/Litauen um die Vorherrschaft in Osteuropa. Dieser russische Imperialismus unterschied sich vom Imperialismus der anderen europäischen Staaten in seiner kontinentalen Landmasse, während die anderen Imperien erst über die Weltmeere zu ihren Kolonien mussten.



Abbildung: Russlands Ausdehnung (Wikipedia)
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Die Sowjetunion baute 1922 auf diesem Reich auf, wenn sie auch im Westen polnische Gebiete, das Baltikum und Finnland verlor. Nach eigenem Anspruch war die Sowjetunion gerade nicht die Fortsetzung des zaristisch-russischen Imperialismus, sondern „Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker, vereinigt euch!“14 und zwar auch und gerade in der Sowjetunion15. Diese andere Sicht auf den Kolonialismus in der jungen Sowjetunion sei aber im Lauf der Geschichte verloren gegangen, die UdSSR sei letztlich nicht nur genau so imperialistische wie Groß-Britannien, Frankreich und andere Staaten, sondern – schlimmer noch – die einzig übrig gebliebene Kolonialmmacht. Die anderen Imperien seien entkolonisiert, also keine Imperien mehr, währen Russland sich unter Putin zum überkommenen Imperialismus zurück entwickelt habe.

Eine Einrichtung der US-Regierung fordert deshalb „decolonize russia“16, ein „Forum der freien Völker Post-Russlands“ arbeitet schon an einer Landkarte und ein Manifest17.



Abbildung: Карта свободных государств Постросии (https://freenationsrf.org/)
Image map-postrussia-new

Solche Karten könnten die Illusion verbreiten, es gäbe abgeschlossene Siedlungsgebiete der verschiedenen Ethnien, um die man einfach nur Grenzen ziehen müsste. Es dürfte viel eher so sein, dass in den meisten Gebieten die verschiedenen Ethnien durcheinander leben, mit Schwerpunkten bei jenen, die schon lange dort wohnen. Diese Ethnien können durch ihre Geschichte, ihre Sprache und ihre Religion getrennt sein. Aber auch diese Ethnien sind keine festen Einheiten, einzelne Menschen und ganze Gruppen wechseln ihre Zugehörigkeit. In manchen Gegenden sind die Menschen loyal zu ihrer Ethnie, in anderen sind sie, unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit, dem Staat gegenüber loyal. Ein deutsch sprechender Schweizer ist kein Deutscher, sondern ein Schweizer wie sein räthoromanischer Mitbürger, dessen Sprache er nicht versteht.

Es gibt keine Möglichkeit der sauberen Unterscheidung. Genau das macht solch ein Staatsbildungskonzept gefährlich: Es kann nur mit groben und ungerechten Vereinfachungen realisiert werden, Gewalt eingeschlossen.

Solche Konzepte sind Handgranaten.

Einmal begonnen, könnte das Konzept auch von anderen Minderheiten übernommen werden, zb der indigenen Bevölkerung der USA18. Die Folgen mag man sich nicht vorstellen: Alle Weißen zurück nach Europa?




Daraus ergeben sich (Wissens-, Verständnis-)Fragen:





Blick auf die gesamteuropäische Sicherheit

Die zweite Sichtweise, die Varwick heranzieht, meint die gesamteuropäische Sicherheit. Während das Imperialismus nur einen Bären sieht, der seine Nachbarn fressen will, denen deshalb zur Hilfe geeilt werden muss, sieht dieses Konzept auf die Gesamtheit aller europäischer Staaten (und darüber hinaus auf die USA und Kanada). In welchem Verhältnis stehen diese Staaten zueinander?




Charta von Paris

Wenn es um Frieden im Europa der Zeit nach dem Kalten Krieg geht, dann wird der Anfang von den beteiligten europäischen Staaten mit der Charta von Paris19 gesetzt. Dieses Dokument wurde am 21. November 1990 von den Mitgliedsstaaten der „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“, also allen damals existierenden Staaten in Europa, den USA und Kanada unterzeichnet20. Mit ihm sollten die Grundlagen für ein Europa der Gemeinsamen Sicherheit gelegt werden, für die Staaten des Westens, des Ostens und die neutralen Staaten. Später entstandene Staaten sind in den Text eingetreten. Aber in unserer Öffentlichkeit ist dieser Text damals erst übersehen, dann fast vergessen worden.

Dieses Dokument klärt die Grundlagen eines gemeinsamen Friedens auf der Grundlage von drei Axiomen:

  1. Die Staaten haben ein demokratisches politisches System, sie bauen auf Menschenrechten auf, sie sind als Rechtsstaaten organisiert, ihre Grundlage sind Marktwirtschaften. So sollten die politischen und wirtschaftlichen Systeme miteinander vereinbar/kompatibel gemacht werden.
  2. Es soll ein europäisches System der gemeinsamen Sicherheit aufgebaut werden.
  3. Die Bedeutung der nationalen Minderheiten wird hervor gehoben.

Dies alles mag manchem nicht „links“ genug sein, Marktwirtschaft ist doch Kapitalismus etc. ... Mag alles richtig sein, aber die Demokratie, wie wir sie kennen, ist der beste bislang bekannte Schutz vor Gewalt und Krieg im Inneren eines Staates. Mehr haben wir nicht, damit müssen wir auch den Frieden zwischen den Staaten gestalten.

Unser westeuropäisches Konzept von Demokratie wird aber auf einen Nationalstaat bezogen: Die Angehörigen dieses Staates stammen voneinander ab, jedenfalls nach ihrer Selbsteinschätzung, benutzen dieselbe Hoch-Sprache, haben oft dieselbe Religion.

Deshalb ist bei uns der Minderheitenschutz, der in der Charta mehrmals erwähnt wird, von besonderer Bedeutung: Die Charta hat hier, wie es scheint, das Ende des Ersten Weltkriegs im Blick: Jede Nation, jedes Volk sollte damals (mit dem US-Präsidenten Wilson) ihren/seinen eigenen Staat haben. Jedoch: Weil (nicht nur) im Südosten und im Osten Mitteleuropas die Völker durcheinander wohnen, waren Mord und Totschlag die Folge, jedenfalls dann, wenn nationalistische Politik sich einmischte21. Nation, Volk und Staat können dort nicht identisch gemacht werden. Es gibt nur die Möglichkeit, die verschiedenen Ethnien, Minderheiten, kulturell, sprachlich, religiös gemeinsam unter einem staatlichen Dach leben zu lassen.

Vollständig hat die Charta das Problem jedoch nicht gelöst: Sie kennt immer noch die Unterscheidung zwischen der einen Nation, die Eigentümerin des Staates ist, und den Minderheiten; sie versucht die Schwäche dieser Ungleichgewichtigkeit(en) jedoch durch die Verankerung der Minderheitenrechte in den individuellen Grundrechten abzumildern22.

Die Staaten verpflichtet sich in der Charta, nach neuen Formen der Streitbeilegung zu suchen und sie zu instutionalisieren, neue Einrichtungen im KSZE-Prozess zu schaffen. Die Sicherheit jedes Staates wurde unteilbar mit der Sicherheit aller verbunden, die Sicherheit aller Staaten mit der Sicherheit jedes einzelnen Staates. Institutionelle Regeln sollten später geschaffen werden, der Phantasie waren keine keine Grenzen gesetzt.

Der Text der Charta enthält aber auch hier folgenschwere Unklarheiten: Jeder Staat sollte über seine Sicherheit selbst entscheiden können, gleichzeitig sollte jeder auf jeden Rücksicht nehmen. Was denn nun: Soll jeder tun und lassen dürfen, was er will? Oder muss es einen ständigen Prozess des Aushandelns geben, in dem jeder auf jeden anderen Rücksicht zu nehmen hat. Und was passiert, wenn die einen gar nicht Rücksicht nehmen wollen, haben dann die anderen ein Veto-Recht?

Dennoch: Die Grundlagen für einen dauerhaften Frieden in Europa schienen gelegt.

Will man nicht den unendlichen Rückgriff in die historische Unterdrückungsgeschichte, bleibt nur die Möglichkeit, den status quo anzuerkennen: Die Menschen, wie sie nun mal sind, leben dort, wo sie nun mal wohnen. Einen Weg zurück gibt es nicht, denn dieser Weg wäre voll Ungerechtigkeiten gegenüber den jetzt lebenden Menschen, die sich ihr Schicksal, den Ort und die Gemeinschaft ihrer Geburt, nicht ausgesucht haben. Aber gleichzeitig das auch ein Weg der Zumutungen: Was ein Volk, eine Nation, ein Staat, eine Ethnie oder eine Sprachgruppe einmal verloren haben, soll sie für immer aufgeben, während die „Gewinner“ behalten dürfen, was ihre Vorläufer rechtmäßig oder oft genug unrechtmäßig verloren haben.

Diese mit der Charta von Paris verbundene Herausforderung ist kaum je wahrgenommen worden. (Sie selbst ist ja auch weitgehend unbekannt, wird in öffentlichen Auseinandersetzungen ab und zu als Waffenarsenal benutzt.) Aber diese Herausforderung ist der Prüfstein, an ihr entscheidet sich, ob der Friedensprozess gelingt.

Sie hätte nicht nur mit einem umfangreichen politischen, insbesondere erinnerungspolitischen durchaus kontroversen Kultur- und Austauschprogramm verbunden sein müssen. Es wäre ein großes gemeinsames Bildungs- und Ausbildungsprogramm erforderlich gewesen, mit dem eine gemeinsame politisch-moralische Grundlage in der Bevölkerung und in der politischen Führung hätte geschaffen werden müssen.

Wann immer wieder Frieden sein wird, wird sich diese Aufgabe neu stellen. Denn es geht um einen für die Menschheitsgeschichte entscheidenden politisch-moralischen Sprung23.



Das Scheitern

Die Charta von Paris sollte Grundlage für ein europäisches Friedensprojekt werden. Eine der Aufgaben wäre es gewesen, Institutionen und Einrichtungen der gemeinsamen Willensbildung zu schaffen, insbesondere für die Bewältigung von Konflikten zwischen den Mitgliedsstaaten. Es hätte eine europäische „Sicherheits- und Friedensregierung“ geschaffen werden können. Dazu ist es nicht gekommen.



Abbildung: Nato-Osterweiterung (Wikipedia)
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Der Verlauf des Scheiterns ist oft beschrieben worden24. Über die tieferen Gründe muss man etwas rätseln, sind nur mehr oder minder plausible Vermutungen möglich.

  1. Die Menschen haben in Ost und West 1990 den Abschluss der Charta von Paris kaum wahrgenommen. Es änderte sind so viel, da konnte man auch wichtiges übersehen. Die Menschen in den ex-sozialistischen lebten in einem Transformationsprozess, der das Leben jedes Einzelnen grundlegend umstellte. Die meisten Menschen hatten genug damit zu tun, ums Überleben zu kämpfen, mindestens um ihre soziale Stellung. Wenn dann irgendwo in den Nachrichten von einem weiteren Friedensprozess die Rede war, haben sie das kaum zugehört, irgendwie entstand eine neue Ordnung, die sicher auch ihre positiven Züge hatte, aber erst einmal nicht von Bedeutung schien.
  2. Und als die neue Ordnung in den ex-sozialistischen Ländern halbwegs „lief“, war die wesentliche Entscheidung schon gefallen: Sicherheit in Europa sollte nicht auf der Grundlage der Charta gestaltet werden, sondern über die Nato-Osterweiterung. Wenn auch gänzlich verändert, so blieb doch alles beim alten: Der große Militärblock ist für die Sicherheit zuständig, allerdings gab es da noch Reste, die nicht ganz eingearbeitet waren.
  3. Ohne den Mut zu einem politisch-kulturellen Sprung kehrten die alten Geister zurück.
  4. Die westeuropäischen Staaten waren ebenfalls vor allem mit sich selbst beschäftigt: Erst war in den 1990er Jahren die EU weiter auzubauen, dann kämpfte in der EU ab 2008 jeder gegen jeden, um die Folgen der Finanzkrise und der daraus hervorgehenden Staatsschulden-Krise für sich selbst so gering wie möglich zu halten.
  5. Der gemeinsame Friede ist in der Politik und auch in den Medien vor allem als ein politik-bürokratisch-technokratisches Problem wahrgenommen worden: Deutschland ist von Freunden umgeben, die Abrüstung der Bundeswehr läuft ja selbst bei CDU-Ministern, also muss man sich um den Frieden nicht mehr kümmern, mal abgesehen von den Störungen südlich und östlich des Mittelmeers.
  6. Dass die Großmächte dabei waren, geopolitische Konkurrenzen auszutragen oder den Kampf um Einflusszonen auch militärisch auszutragen, wurde nicht als Aufforderung wahrgenommen, eine eigene Friedens-Agenda aufzulegen, sondern sukzessive als Sog, sich daran zu beteiligen26.
  7. Irgendwann waren die Osteuropäer wieder in die alten Schützengräben gekrochen und die Westeuropäer schauten verdutzt aus der Wäsche: Da geht es ja wieder los!
  8. Während Russland unter Putin zeigte, dass es zur Verteidigung seiner Interessen in Europa – oder was es dafür hielt – auch militärische Gewalt anwendete (Georgien 2008 und Ukraine 2014).



Abbildung: Teilung Polens 1772, 1793 und 1795 (Wikipedia)
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Für einen neuen Frieden.

Wenn der ewige Imperialismus Russlands die Ursache des jetzigen Kriegs ist, dann gibt Frieden erst, wenn es kein Russland mehr gibt. Aber weil der Weg dort hin selbst wieder kriegsriskant ist, müsste erreicht werden, dass das gesamte sonstige Europa so gegen Russland gerüstet ist, dass Russland keinen Krieg wagt. Ein teurer Weg, der die Entwicklung Europas massiv behindern würde.



Erste Schritte

Wenn aber, wie Varwick sagt, mangelnder Interessenausgleich die Ursache des Kriegs ist, dann wäre für einen neuen Frieden nach den Bedingungen für einen Ausgleich zu suchen. Ob der Krieg militärisch mit dem Sieg der einen oder anderen Seite endet oder mit einem (vorläufigen) Patt, einer zukünftigen „innerdeutschen“ Grenze, einer koreanischen Grenze oder einer Art Kaschmirs, egal: der politische Frieden darf für keine der beiden Seiten demütigend sein. Gebietsabtretungen, die die Grenzen von 2013 dauerhaft völkerrechtlich verändern, sind ausgeschlossen.

Es muss ein „demokratischer Frieden“ sein, mit dem die weit überwiegende Mehrheit der Menschen der verfeindeten Staaten und Bevölkerungsgruppen sich identifizieren kann27.

Die Prinzipien solch eines Friedens sind, wie schon gesagt, bekannt, die Charta von Paris enthält sie: Demokratie im Inneren, Sicherheitspartnerschaft nach außen28. Allerdings müssen die Mängel dieses Textes von 1990 in den Blick genommen werden: Nicht hinreichende Beachtung und Regelung der inneren Vielfalt der Staaten, fehlende Mechanismen bei der Konfliktregulierung.

Das bedeutet für die verschiedenen Ebenen des Konfliktes/Kriegs:

  1. Eine Gleichberechtigung der Sprachen, Religionen und kulturellen Besonderheiten der verschiedenen Gruppen in der Ukraine soll die inneren Auseinandersetzungen beenden,
  2. die territoriale Integrität der Ukraine (Stand 2013) wird wieder hergestellt; es sind jedoch genau auszuhandelnde Kooperations- und Übergangslösungen möglich,
  3. die Sicherheit der Ukraine wird in einem auf der Charta von Paris aufbauenden, völkerrechtlich gültigen Vertrag gewährleistet, sie kann Mitglied der EU, aber nicht der Nato werden,
  4. Die USA, Russland und die Ukraine schließen einen Vertrag über die immerwährende Neutraliät der Ukraine.




Das Procedere der Implementation eines solchen Friedens – Welche Macht steht wo mit ihrem Truppen? Gibt es längere Besatzungsverhältnisse und / oder Stationierungen? Sind internationale Hochkommissare nötig, die die örtlichen Selbstverwaltungen anleiten29? Müssen Bevölkerungsgruppen getrennt werden? Jetzt, für eine Übergangszeit, für immer? – kann gar nicht vorher gesagt werden, da wird man sehen müssen.

Europäische Politik, die solch eine Ziele verfolgen will, müsste allerdings ihr Verhältnis zu den USA überdenken, das wäre wohl der schwierigste Teil der Politik30.




Dauerhafte Prinzipien

Der Weg nach vorn kann nur mit einem Weg zurück beginnen: Zurück zu jenen Momenten, in denen der Weg zum „ewigen Frieden“31 gefunden zu sein schien. Es muss das Wertvolle dieser Gelegenheiten geborgen werden und die Fehler, die sich im Anschluss gezeigt haben, müssen vermieden werden.

Welche Prinzipien sind Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden? Wie müssen die inneren und äußeren Ordnungen der Politik / des Zusammenlebens gestaltet werden?

  1. Die Grenzen von Staaten, Nationen, Ethnien, Völkern, Sprachen, Religionen und Alltagskulturen fallen manchmal zusammen, manchmal auch nicht. Staaten (=die letzte auf einem Territorium herrschende physische Gewalt) müssen so organisiert sein, dass sie mehrere solcher Menschengruppen in sich gleichberechtigt aufnehmen können. Das Konzept, der Staat sei Ausdruck einer Nation, könne in aller Grpßzügigkeit andere Nationen oder Teile davon auf seinem Gebiet mitwohnen lassen, ist zu anfällig für nationalistischen Missbrauch, für „Nichtbürger“32. Es muss gelten, dass zu Beginn des Friedens die Rechnungen der Vergangenheit zerrissen sind.
  2. Das politische und gesellschaftliche System der Staaten muss demokratisch sein. Demokratie meint nicht nur einen Set von Regeln der Besetzung der Institutionen und der Willensbildung, sondern darüber hinausgehend Verbindungen von Staat und Bürger, die den Staat zum Integrationsverband aller wesentlichen sozialen Gruppen, die alle Bürger umfassen, werden lassen. Dabei ist Chancengleichheit in der Integration, in den Möglichkeiten der Einflussnahme anzustreben, durchaus wissend, dass sie nicht endgültig erreicht werden kann. Die Verbände zwischen Staat und Bürger sind dabei von herausragender Bedeutung. – Das deutsche Grundgesetz und die Verfassung der Schweiz sollten bei Beratungen heran gezogen werden.
  3. Die einzelnen politisch-kulturellen Gruppen genießen große Autonomie. Die Abgrenzung ist natürlich schwierig: Welche Sprache ist die offizielle Amtssprache? In welcher Sprache soll in der Schule unterrichtet werden? Welche Sprachen gelten bei Gericht und in den amtlichen Urkunden? – Amtssprachen kann es nur wenige geben, und zwar jene, in denen in der Schule Unterricht erteilt wird. Andererseits sollte in der Schule nach Möglichkeit in jener Sprache unterrichtet werden, die in der Familie gesprochen wird. Manchmal jedoch herrscht dort ein lokaler Dialekt. – Sprachen sollten durch Sprachpolitik nicht verdrängt werden: Wenn in ganzen Landstrichen Plattdeutsch gesprochen wird, in der Schule und in der Kirche aber nur Hochdeutsch gelten, verschwindet die überkommene Sprache eines Tages. – Sprachgrenzen sind nicht schon ethnische Grenzen, ein russisch sprechender Ukrainer ist nicht schon deshalb Russe.33
  4. Die Ethnien müssen sich grenzübergreifend organieren können. Was gemeinsame kulturelle Herkunft hat, muss diese Gemeinsamkeit weiter gestalten können. Da sind die Möglichkeiten sensibel abzustecken, damit die gemeinsame Herkunft von Großethnien nicht schon zu größeren politischen Einfluss quer über die Staaten führt34.
  5. Die Kulturpolitik der Mitgliedsstaaten fördert die gemeinsame Verständigung. Schulbuchkommissionen stimmen den Unterricht in den historisch und politisch bildenden Fächern ab.
  6. Die Ausbildung der öffentlichen Dienste der Mitgliedsstaaten enthält große gemeinsame Anteile, die sich insbesondere auf Abstimmung und Kooperation beziehen.
  7. Die Staaten schaffen ein System der gemeinsamen Sicherheit. Die Staaten können Armeen zur Verteidigung aufstellen. (Man weiß ja nie ...). Die Größen der Armeen und ihrer Ausrüstungen werden in regelmäßigen Abständen gemeinsam festgelegt. Es wird ein Sicherheitsrat eingerichtet, dessen Mitglieder die Mitgliedsstaaten insgesamt repräsentieren soll. Dieser Sicherheitsrat bekommt eine eigene Armee, deren Stationierung in den Mitgliedsstaaten exterritorial ist. Es wird ein gemeinsames Sicherheitsgericht eingerichtet, dessen Entscheidungen verbindlich sind und vom Sicherheitsrat ausgeführt werden.
  8. Besondere Militärbündnisse müssen vermieden werden, sie sind nur mit der Erlaubnis aller Teilnehmerstaaten möglich. Ihr Gegenstand darf nicht über gemeinsame Übungen hinaus gehen.
  9. Die gemeinsame Wirtschaftspolitik der Staaten, abgestimmt und beschlossen in Einrichtungen der „Gemeinsamen Sicherheit“ zielt auf eine Vertiefung der Arbeitsteilung.




Diese Prinzipien sind natürlich nur ein erster Entwurf. Die Praxis wird und muss sie modifizieren.

Sie sollen dazu dienen, ethnische Konflikte (oder ihre Instrumentalisierung durch äußere Mächte) zu verhindern und gleichzeitig die Bedeutung großer Mächte zurück zu drängen, indem sie auf neue politische Einrichtungen und Regelungen hinweisen. Vermutlich sind diese Vorschläge unzureichend.





Die USA, Deutschland und die Nato

Es ist schon fast idyllisch einfach, sich ein friedliches Europa zu malen. Irgendwie kann es vielleicht hinbekommen, dass sich selbst Polen und Russen lieben. – Wenn da nicht die USA wären, das schwerste Problem, nicht wirklich zu lösen.




Man kann mit dem Friedman-Video „Wie die USA Europa spaltet: Friedman-Rede auf Deutsch | Chicago Council on Global Affairs 2015-02-04“ anfangen35: Die USA müssen und wollen verhindern, dass Deutschland und Russland miteinander Europa entwickeln. Die Folge wäre eine Konkurrenz in globalen Dimensionen.

Man kann aber auch in den 1950er Jahre zurück gehen: Die USA forcierten die Gründung einer deutschen Westrepublik, ein wiedervereinigtes Deutschland hätte ihren Einfluss in Europa womöglich reduziert.

Lag damals ein vereinigtes Europa nicht im Interesse der USA, so behinderte sie in diesen Jahrzehnten mit großem Erfolg den Aufbau eines Gemeinsamen Hauses Europa36.




Die SiPo-Szene – gemeint sind die diversen Thinktanks, Bundeswehr-Schreiber, Professoren für Internationale Beziehungen und was sich da sonst noch für kompetent hält oder dafür gehalten wird – kannte vor ein paar Jahren eine Diskussion zur „strategischen Autonomie“: Ob Europa – gemeint ist EU-Europa – in der Lage sei als eigenständiger Militärakteur in der Welt neben und vielleicht auch mal abseits von den USA aufzutreten, schließlich habe es insgesamt gesehen doch eine größere Bevölkerung und sei irgendwie auch wirtschaftliche stärker als die USA. Die USA äußerten massive ihren Widerstand37. Sie endete mit der Übereinkunft, dass Eigenständigkeit neben den USA schon deshalb nicht möglich sei, weil Europa keine vergleichbare Rüstungsindustrie habe, jeder Staat vielmehr weiterhin seinen teuren Kram auf Kosten der europäischen Gesamtheit mache. Aber Europa könne die USA welt- und militärpolitisch im Bündnis mit eigenständigen Beiträgen begleiten; ganz Europa als Junior, der ab und zu mal mitreden darf.




Seit Walter Ulbrichts „Deutsche an einen Tisch“38 und Ernst Buschs heute befremdlich anmutendem Lied „Ami go home“39 ist das Verhältnis (West-)Deutschland / USA zwar tausendfach analytisch thematisiert worden (Leitfrage: Welchen negativen Einfluss haben die USA auf die Welt im Allgemeinen, auf Europa im Besonderen und auf Deutschland ganz konkret?) zwar immer wieder thematisiert worden, aber meist nur analytisch, oft auch mit der Forderung, die USA mögen sich an diese oder jene Regel halten.



Clay und Cloy aus USA
Sind für die Etappe da:
Solln die German boys verrecken in dem Sand!
Noch sind hier die Waffen kalt,
Doch der Friede wird nicht alt,
Hält nicht jeder schützend über ihn die Hand.


Go home, Ami, Ami go home,
Spalte für den Frieden dein Atom,
Sag good bye! dem Vater Rhein,
Rühr nicht an sein Töchterlein;
Lorelei, solang du singst, wird Deutschland sein.





Natürlich kenne ich nur einen Bruchteil dessen, was man dazu lesen könnte: Ich kenne keinen welt-ordnungspolitischen Entwurf aus friedensbewegten Kreisen, der den USA in Europa einen definierten Platz vorschlagen würde, mit dem die USA den Europäern zwar wirtschaftspolitisch verbunden wären, sie aber in der Sicherheits- und Militärpolitik in Europa keinen Schaden anrichten könnten.

Es gibt den Vorschlag, die Nato durch ein europäisches Sicherheitssystem zu ersetzen. Die LINKE fordert in ihrem Erfurter Parteiprogramm von 201140:

Wir fordern die Auflösung der NATO und ihre Ersetzung durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands, das Abrüstung als ein zentrales Ziel hat.

Mal abgesehen davon, dass die USA jeden Nato-Staat einzeln in die Mangel nehmen würden, um so ihr Einflussinstrument zu erhalten, würde dieser Übergang von der Nato zu einem europäischen Sicherheitssystem dem politischen Einfluss möglicherweise nicht nur nicht mindern, sondern ihn noch chaotischer und unberechenbarer machen. Die USA hätten dann womöglich ungehinderten und und von keinen anderen Partnern kontrollierten politischen, militärpolitischen und wirtschaftliche Zugriff auf die einzelnen Staaten Europas und dieses gegeneinander ausspielen.

Es könnte sein, dass alles noch ärger wird.




Der SPD-Politiker Dohnanyi schlägt vor41:

Doch es ist eine weitreichende Lehre, die wir aus den Einstellungen der Mitglieder der Europäischen Union zu den Fragen der äußeren Sicherheit ziehen müssen: Wenn es richtig ist, dass Sicherheit die zentrale Aufgabe eines Staates gegenüber seinen Bürgern ist, und wenn wir dann erkennen müssen, wie wenig Übereinstimmung es heute zwischen den Mitgliedern der EU in Fragen militärischer Sicherheit gibt, dann zeigt sich doch, wie weit entfernt Europa noch von einer wirklich politischen Interessengemeinschaft ist. Eine Kommission, die es in Jahrzehnten des wirtschaftlichen Zusammenwachsens nicht fertig gebracht hat, in Europa ein gemeinsames europäisches Konzept der politischen Identität ohne US-amerikanische Wegweisung zu formulieren, ist offenbar nicht auf dem richtigen Weg.

Wenn Europas Sicherheit heute und in vorhersehbarer Zukunft nicht von den immer nur geopolitisch orientierten USA gewährleistet werden kann, und wenn Brüssel wegen divergierender Interessen der Mitgliedsstaaten nicht bereit oder in der Lage ist, eine handlungsfähige europäische Sicherheitsorganisation aufzubauen, dann sind offenbar nationale Initiativen der Mitgliedsstaaten gefordert. Oft wird nach mehr deutscher Führung gefragt. Und da die Unversehrtheit Europas militärisch auf konventionellem Wege nicht gewährleistet werden kann, sollte die deutsche Erfahrung mit den Mühen einer Entspannungspolitik jetzt mutig in die europäische Debatte eingebracht werden. Deutsche Diplomatie ist gefragt, wie in Willy Brandts Zeiten. Dass Frankreich bereit sein würde, seine Force de frappe im Falle einer terrestrischen Bedrohung an Europas Ostgrenzen einzusetzen, ist ebenso unwahrscheinlich, wie es auch für die USA ausgeschlossen wurde: Das Risiko für das eigene Land wäre auch für Frankreich viel zu groß.

Doch das bedeutet kein Ausscheiden aus dem Nato-Verbund. Die Nato ist nämlich einerseits auch konventionell ein Grund für russische Zurückhaltung in Europa, und andererseits gibt es auch andere, quasi militärische Bedrohungen, die wir im Auge haben müssen und für die die Nato und die EU im eigenen Interesse Beiträge leisten müssen. Hierher gehören unter anderem die Terrorbekämpfung, die Abwehr von Cyberangriffen und die Fähigkeit, militärische Einheiten zu entwickeln, die kurzfristige Eingriffe bei einer Bedrohung deutscher oder europäischer Interessen ermöglichen. Es war gut, dass die neue Bundesregierung die in einem Teil der Parteien vorhandenen ideologischen Vorbehalte gegenüber Einrichtungen wie dem BND, der Entwicklung auch bewaffneter Drohnen oder von Truppeneinheiten wie etwa der GSG 9 überwinden konnte.

Aber angesichts der realen Lage in Europa sollten wir -festhalten: Europa kann durch militärische Kraft, sei es die der EU oder die der von den USA beherrschten Nato, nicht wirklich gesichert werden. Das Ziel Europas muss am Ende eine allianzneutrale Position sein. Wer sich selbst gegenüber einem Stärkeren nicht mehr wirkungsvoll verteidigen kann, für den ist es immer sicherer, sich nicht einzumischen in Konflikte der Größeren und sich auch nicht durch eine Allianz zu binden. Diejenigen Staaten, die während des Zweiten Weltkrieges diese Regel befolgten, wie zum Beispiel Schweden, die Schweiz oder auch Spanien, kamen un-zerstört aus dem Krieg heraus. Deswegen ist es auch heute im Interesse Europas, einen solchen Kurs anzustreben.

Was immer der Ausdruck „allianzneutral“ bedeuten mag, er signalisiert zunächst, dass auch Dohnanyi nicht so recht weiß, in welche Richtung europäische und deutsche Sicherheitspolitik mit oder die USA gehen soll.




Man kann jedoch feststellen, dass die USA die zunächst widerstrebenden europäischen Nato-Partner langsam, aber sicher auf ihre außenpolitische Linie gebracht haben. Zwar hat Bundeskanzler Schröder Deutschland aus dem Krieg der USA gegen den Irak herausgehalten, zwar hat die Bundeskanzlerin Merkel immer wieder den Druck der USA abgemildert, z.B. beim Libyen-Krieg, aber letztlich ist Deutschland doch auf die US-Linie eingeschwenkt, spätestens 2022. Diese Entwicklung hatte 2013, außerhalb der Fachöffentlichkeit kaum wahrgenommen, mit dem Konsenspapier „Neue Macht – Neue Verantwortung“42, formuliert unter der Leitung der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ (SWP – finanziert vom Bundeskanzleramt) und der US-Einflussorganisation GMFUS unter Beteiligung großer deutscher Unternehmen an Fahrt aufgenommen. Seitdem trommelte es in den Medien ununterbrochen: Die Bundeswehr an die Front, zur Unterstützung der USA

Dazu hat ein Umschwung beim wissenschaftlich-publizistisch-propagandistischen deutschen Personal beigetragen. Wo auch immer man hinschaut, die Personalpolitik der USA war schon da. Selbst die gegenwärtige deutsche Außnministerin ist Zögling dieser Offensive. Eine eigenständige deutsche politische Personalentwicklung scheint es schon längst nicht mehr zu geben.

Diese neue Abhängigkeit Deutschlands von den USA wird in der deutschen Öffentlichkeit so gut wie nicht wahrgenommen.

Was momentan jedoch bleibt: So recht weiß keiner, was da im Verhältnis Europas / Deutschlands zu den USA geschehen soll und kann.






Fußnoten

... Versuch12
In Anlehnung an Überlegungen von Hannah Arendt zum Wesen von Politik. – Man kann diese Überlegungen aber auch von der Denkschrift des Rates der EKD „Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen“ S. 52ff her lesen, die Abschnitte 77, 81, 84, 88 und 96. https://www.ekd.de/friedensdenkschrift.htm, https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/ekd_friedensdenkschrift.pdf
... Varwick13
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1171834.politologe-johannes-varwick-krieg-in-der-ukraine-der-mittelweg-hat-nur-schlechtes-bewirkt.html
... euch!“14
https://de.wikipedia.org/wiki/Kongress_der_V%C3%B6lker_des_Ostens
... Sowjetunion15
Etwa Kappeler, Kleine Geschichte Ukraine, S. 187ff
... russia“16
https://www.csce.gov/international-impact/events/decolonizing-russia
... Manifest17
https://freenationsrf.org/
... USA18
https://www.nzz.ch/international/veruebten-die-usa-einen-genozid-an-den-indianern-ld.1631753, https://de.wikipedia.org/wiki/Indianer_Nordamerikas
... Paris19
https://de.wikipedia.org/wiki/Charta_von_Paris, http://www.bundestag.de/blob/189558/21543d1184c1f627412a3426e86a97cd/charta-data.pdf
... unterzeichnet20
Die danach aus Jugoslawien und der Sowjetunion entstandenen Staaten haben sich später angeschlossen.
... einmischte21
Irgendwo habe ich mal gelesen, dass die Goralen, ein Völkchen in den polnischen und tschechischen Bergen, während der deutsch-polnischen Nationalitätenkämpfe gefragt wurden, so sie sich für Deutsche oder für Polen halten: Ihre Antwort soll verblüffte Staunen gewesen sein: „Wir sind die von hier ... “ – Stattdessen: „Polen kämpfte gegen die Tschechoslowakei um Teschen, gegen Deutschland um Posen (→ Großpolnischer Aufstand) und gegen die Ukraine um Galizien (→ Polnisch-Ukrainischer Krieg). Seit Ende der Besetzung mit Kriegsende 1918 entwickelten sich Grenzkonflikte zwischen vielen unabhängig gewordenen Staaten Mittel- und Osteuropas: Rumänien kämpfte gegen Ungarn um Siebenbürgen, Jugoslawien gegen Italien um Rijeka; Ukrainer, Belarussen, Litauer, Esten und Letten bekämpften sich gegenseitig und/oder die Russen. Winston Churchill kommentierte bissig: 'Der Krieg der Giganten ist zu Ende, der Hader der Pygmäen hat begonnen.'“ https://de.wikipedia.org/wiki/Polnisch-Sowjetischer_Krieg
... abzumildern22
Die drei baltischen Staaten etwa gehen sehr eigene Wege, die von der Charta von Paris nicht gedeckt sind. https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/242513/minderheitenintegration-in-den-baltischen-staaten/
... Sprung23
Ein „Die Menschen sind nun mal so und jeder Staat strebt nun mal nach Macht- und Einfluss!“ kann der Aufgabe nicht gerecht werden. Mit dieser Einstellung wäre noch nicht einmal der zivilisatorische und kulturelle Fortschritt der neuzeitlichen und der modernen europäischen Territorial- und Nationalstaaten möglich gewesen. Es geht also nicht darum, ein völlig neues Moment in die Me Menschheitsgeschichte einzufügen – etwas, das es womöglich noch nie gegeben hat und deshalb auch nie geben wird –. sondern darum, auf einem schon bekannten Weg einen Schritt vorwärts zu machen.
... worden24
Guérot / Ritz: 103 - 142, Dohnanyi: 98ff, nicht sehr brauchbar dagegen Sasse, Gwendolyn: Der Krieg gegen die Ukraine 69ff. Texte, die die USA fast weglassen und die Nato ganz klein schreiben, lassen zu sehr die apologetische Absicht erkennen.
... verbanden25
Auf Twitter kann man Tweets auch in solch fremden Sprachen mitlesen, die man gar nicht versteht, die Übersetzung ist recht gut. Ich habe vor dem Krieg öfter polnische Twitterer gefragt, was sie aktuell gegen Russland vorzubringen haben. Verblüffenderweise gab es nie, nicht einziges Mal, konkrete Vorwürfe. Aber irgendwann erschien die Trias Katharina II.–Stalin–Putin in den Tweets. Die Zarin Katharina II steht für die drei Teilungen Polens von 1772 bis 1795, Stalin für die vierte Teilung 1939 und die „Besetzung Polens“, wie die Zeit von 1945 – 1991 verstanden wird, und Putin als der Nachfolger der beiden. – Schaut man auf Tweets aus den baltischen Staaten, sieht man ein ähnliches Bild. – Der Beitritt dieser Staaten gründete nicht auf der damals aktuellen konkreten Politik Russlands, sondern auf jenen Vorgängen, die mit der Charta von Paris gerade vergangen gemacht werden sollten.
... beteiligen26
Etwa „Neue Macht – Neue Verantwortung“, ein Dokument der Verlorenheit.
... kann27
S. dazu auch die Forderungen der UNO-Generalversammlung vom 02.03.2022, https://www.un.org/depts/german/gv-notsondert/a-es11-1.pdf
... außen28
Zum miserablen Zustand der Charta von Paris gehört der Niedergang der OSZE, https://www.nachdenkseiten.de/?p=88064.
... anleiten29
In der Art von https://de.wikipedia.org/wiki/Hoher_Repr%C3%A4sentant_f%C3%BCr_Bosnien_und_Herzegowina
... Politik30
https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/oskar-lafontaine-deutschland-handelt-im-ukraine-krieg-als-vasall-der-usa-li.261471, https://www.nachdenkseiten.de/?p=88304, https://www.blog-der-republik.de/klaus-von-dohnanyi-nationale-interessen-orientierung-fuer-deutsche-und-europaeische-politik-in-zeiten-globaler-umbrueche-eine-kommentierte-besprechung/, https://www.nzz.ch/international/mehr-entspannung-wagen-interview-mit-klaus-von-dohnanyi-ld.1675261
... Frieden“31
Ein Weg also zurück zu Immanuel Kant.
... „Nichtbürger“32
https://de.wikipedia.org/wiki/Nichtb%C3%BCrger_(Lettland)
... Russe.33
Die Schweiz wäre zu konsultieren: „Die Regelung auf Gesetzesebene findet sich im «Bundesgesetz über die Landessprachen und die Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften» (Sprachengesetz) vom 5. Oktober 2007, ergänzt durch die «Verordnung über die Landessprachen und die Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften» (Sprachenverordnung) vom 4. Juni 2010.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Sprachen_in_der_Schweiz
... führt34
Es ist verständlich, dass die russisch-sprachige Minderheit in der Ukraine weiterhin Russisch als regionale Amtssprache haben wollte (jetzt noch haben will?), Schule und Presse auf Russisch. Aber die Besorgnis mancher ukrainischer Politik, darüber könne der große Nachbar Russland Einfluss auf die ukrainische Politik nehmen, ist nicht von der Hand zu weisen. Innenpolitische Multikulturalität ist auf ein außenpolitisches Umfeld des Vertrauens angewiesen. – Das 2022 in Kraft getretene ukrainische Sprachgesetz geht jedoch erheblich zu weit, wenn es die unbeliebte russische Sprache mit wirtschaftlichen Mitteln verdrängen will („Das Russische abwürgen“ https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/ukraine-neues-sprachgesetz-soll-das-russische-zurueckdraengen-17736397.html – Ein Schulgesetz wie in Lettland („In Lettland soll bis 2025 Lettisch schrittweise zur alleinigen Unterrichtssprache in Kindergärten und Volksschulen werden.“ https://www.diepresse.com/6196409/kein-russisch-mehr-lettland-beschliesst-sprachreform-im-schulwesen, siehe auch „Mit der lettischen Sprachpolizei auf Streife“ https://www.dw.com/de/mit-der-lettischen-sprachpolizei-auf-streife/a-3672785) schafft politische Spannungen, soll es womöglich ja auch.
... anfangen35
https://www.youtube.com/watch?v=u3A23h4xKbo
... Europa36
Zum Verhältnis Europa – USA s. Guérot / Ritz: 80ff, 127ff; Dohnanyi: 73ff, und auch 88ff
... Widerstand37
Dohnanyi: 116
... Tisch“38
https://www.zeitklicks.de/zeitstrahl/1950/deutsche-an-einen-tisch, https://www.hdg.de/lemo/kapitel/geteiltes-deutschland-gruenderjahre/deutsche-frage/deutsche-an-einen-tisch.html,
... home“39
https://genius.com/Ernst-busch-ami-go-home-lyrics, https://www.youtube.com/watch?v=Nb37Trq_VVQ
... 201140
https://www.die-linke.de/partei/programm/
... vor41
Dohnanyi: 118ff
... Verantwortung“42
https://www.swp-berlin.org/publications/products/projekt_papiere/DeutAussenSicherhpol_SWP_GMF_2013.pdf, https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Mitwirkenden_am_Projekt_Neue_Macht_%E2%80%93_Neue_Verantwortung


Horst Leps
2023-04-09