Friedenslage am 23.09.2024 (15:19:04)

„Das Interview mit dem New Yorker — Wolodymyr Selenskyj hat einen Plan für den
Sieg der Ukraine“
https://www.newyorker.com/news/the-new-yorker-interview/volodymyr-zelensky-has-a-plan-for-ukraines-victory

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| Selenskyj hat für mehr westliche Militärhilfe plädiert, was sicherlich helfen
| würde, aber die anderen Probleme der Ukraine nicht lösen würde: die Unfähigkeit,
| neue Soldaten ausreichend zu mobilisieren und auszubilden, und die anhaltenden
| Kämpfe um eine effektive Kommunikation und Koordination an der Front. In der
| Zwischenzeit hat der Mangel an Luftabwehr es Russland ermöglicht, Kraftwerke und
| andere Energieinfrastrukturen anzugreifen. Ein kürzlich veröffentlichter
| UN-Bericht prognostizierte, dass Stromausfälle im Winter bis zu achtzehn Stunden
| am Tag dauern könnten. Umfragen zeigen eine zunehmende Ermüdung der ukrainischen
| Gesellschaft wegen des Krieges, einen Anstieg derjenigen, die bereit sind, einen
| Frieden ohne einen vollständigen Sieg in Betracht zu ziehen, und eine Erosion
| des Vertrauens der Öffentlichkeit in Selenskyj selbst.
|
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| Selenskyj spricht mit der Dringlichkeit eines Staatschefs, der weiß, dass er
| möglicherweise vor seiner letzten besten Chance auf substanzielle Auslandshilfe
| steht. Biden nähert sich dem Ende seiner Präsidentschaft und könnte sich davor
| hüten, das Engagement der USA drastisch zu erhöhen, um Kamala Harris in den
| Wochen vor der Wahl im November keinen politischen Gegenwind zu bereiten. Donald
| Trump hat sich unterdessen vage zu seiner Politik gegenüber der Ukraine
| geäußert.
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Die militärische Lage der Ukraine ist nun mal schwierig. Es ist durchaus
möglich, dass die russische Armee in der nächsten Zeit im Osten der Ukraine alle
ukrainischen Linien durchbricht und der Weg in die Weite des Landes für sie offen
wird. Das könnte angesichts der Kriegsmüdigkeit, von der man liest, zu einer
Krise des ukrainischen Staates selbst führen. Sollte das stimmen, bleiben für
die ukrainische Führung nur zwei Möglichkeiten, die in diesem Interview auch
angedeutet werden: Zusammenbrauch oder Ausdehnung des Kriegs in alle denkbaren
Bereiche. Das Militärpotential der gesamten Nato ist dem Russlands auf allen
konventionellen Ebenen um Größenordnungen überlegen, es muss irgendwie
moblisiert werden.

Dieser „Siegesplan“ Selenskis enthält, nach dem, was man lesen kann, diese
Momente:

( 1) Angriffe mit jeglichem vom Westen gelieferten / zu liefernden Material in
die Tiefe Russlands, bis hin zu dem Ziel, das politische, militärische,
ökonomische, gesellschaftliche System Russlands in eine Krise zu zwingen,

( 2) Beteiligung der Nato-Staaten am Krieg:

(a) Nato-Truppen schießen vom Gebiet der Nachbarstaaten der Ukraine in den
Luftraum der Ukraine, um dort fliegende russische Raketen etc unschädlich zu
machen.
(b) Nato-Truppen beteiligen auf dem Gebiet der Ukraine im rückwärtigen Raum am
Krieg, um ukrainische Truppen für den Fronteinsatz frei zu stellen.

Mehr wird man erst im Laufe dieser Woche erfahren.

Eine rein militärische Betrachtung, die von russischen Reaktionen abstrahiert,
könnte zu dem Schluss kommen, dass der russischen Armee und dem russischen Staat
auf diese Weise schwere Niederlagen zugefügt werden können.

Die Krux ist bei all solchen Überlegungen, dass sie unterstellen, dass Russland
das alles geschehen lässt und selbst nicht weiter eskaliert. Davon sollte man
besser nicht ausgehen.

Dieser Plan kann außerdem nur aufgehen, wenn der Westen seine bisherige
Ukraine-Strategie um mindestens 90° ändert: Hat er bisher die Ukraine so weit
unterstützt, dass sie den Krieg nicht verliert, aber auch nicht mehr, muss sie
dann einen massiven politischen Schwenk machen und bereit sein, sich selbst, die
eigene Existenz, für die Ukraine aufs Spiel setzen. Manche politischen
Schreiber sagen jetzt, Russland werde sich schon zurückhalten, denn sonst steht
auch seine Existenz auf dem Spiel. Merkwürdigerweise liest man derartige
Aussagen momentan in Deutschland nicht aus den atlantizistischen Thinktanks, man
hält sich dort noch zurück.

„Ich spreche von einem mindestens europaweiten Krieg mit Atomwaffen“ – Reiner
Braun
https://www.nachdenkseiten.de/?p=121675

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| Putin hat gerade davor gewarnt: Bei einer Freigabe von weitreichenden Raketen
| betrachtet Russland die NATO als Kriegspartei. Für den 3. Oktober organisieren
| Sie gerade eine Großdemonstration für den Frieden in Berlin. Wie ernst ist die
| Lage?
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| „Ernst“ ist schon fast ein verharmlosender Begriff: Krieg, und ich spreche von
| einem mindestens europaweiten Krieg mit Atomwaffen. Dieser bedroht die Existenz
| Europas. Das ist nicht übertrieben, sondern beschreibt die Eskalationsdynamik,
| die durch die Freigabe der weitreichenden NATO-Waffen noch einmal verschärft
| wird. Denn der Einsatz, die Logistik dieser Waffen und die Infrastruktur für
| diese Waffen sind nur durch den Einsatz von NATO-Verbänden möglich. Die NATO
| wäre dann noch eindeutiger Kriegspartei mit allen Konsequenzen auch eines
| taktisch atomaren Gegenschlages, der ja im Zusammenhang mit der Neuformierung
| der russischen Atomwaffendoktrin diskutiert wird. Der Atomkrieg steht wirklich
| vor der Tür. Es ist brandgefährlich und eine sofortige Umkehr ist mehr als
| dringend geboten. Keine Intensivierung des für die Ukraine sowieso verlorenen
| Krieges, sondern Diplomatie, Waffenstillstand und Verhandlungen sind das Gebot
| der Stunde – alles andere ist absolut verantwortungslos.
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„Wie die Neocons seit den frühen Neunzigern die US-Hegemonie über Frieden stellen
23. September 2024 — Jeffrey Sachs“
https://overton-magazin.de/hintergrund/politik/wie-die-neocons-seit-den-fruehen-neunzigern-die-us-hegemonie-ueber-frieden-stellen/

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| Der weltbekannte Entwicklungsökonom Jeffrey Sachs gewann als wirtschaftlicher
| Berater der postsowjetischen Regierungen in Polen und Russland sowie durch seine
| Tätigkeit als Sonderberater des Generalsekretärs der UN tiefe Einblicke zu den
| Hintergründen der aktuellen geopolitischen Krise. …

| Rückblickend auf die Ereignisse in den Jahren 1991 bis 1993 und die
| darauffolgenden Ereignisse wird deutlich, dass die USA entschlossen waren,
| Russlands Bestrebungen nach einer friedlichen und von gegenseitigem Respekt
| getragenen Integration zwischen Russland und dem Westen abzulehnen. Das Ende der
| Sowjetunion und der Beginn der Präsidentschaft Jelzins waren Anlass für den
| Aufstieg der Neokonservativen (Neocons) an die Macht in den Vereinigten
| Staaten. Die Neokonservativen wollten und wollen kein von gegenseitigem Respekt
| geprägtes Verhältnis zu Russland. Sie strebten und streben bis heute eine
| unipolare Welt unter der Führung der hegemonialen USA an, in der Russland und
| andere Nationen untergeordnet sein werden.
|
| In dieser von den USA geführten Weltordnung, so stellten es sich die Neocons
| vor, würde die USA allein über die Nutzung des auf dem Dollar basierenden
| Bankensystems, die Platzierung von US-Militärstützpunkten in Übersee, den Umfang
| der NATO-Mitgliedschaft und die Stationierung von US-Raketensystemen bestimmen,
| ohne dass andere Länder, darunter sicherlich auch Russland, ein Veto einlegen
| oder ein Mitspracherecht hätten. Diese arrogante Außenpolitik hat zu mehreren
| Kriegen und zu einem zunehmenden Bruch in den Beziehungen zwischen dem von den
| USA geführten Block von Nationen und dem Rest der Welt geführt. Als Berater
| Russlands während zweier Jahre, von Ende 1991 bis Ende 1993, erlebte ich aus
| erster Hand die Anfänge des Neokonservatismus in Bezug auf Russland, auch wenn
| es noch viele Jahre dauern sollte, bis das ganze Ausmaß der neuen und
| gefährlichen Wende in der US-Außenpolitik, die Anfang der 90er Jahre begann,
| erkannt wurde.
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„Krieg, Frieden und Populismus: Wie Deutschlands extremistische Parteien die
außenpolitische Debatte prägen —
Angela Mehrer – Jana Puglierin – Notiz aus Berlin – 10. September 2024″
https://ecfr.eu/article/war-peace-and-populism-how-germanys-extremist-parties-are-shaping-its-foreign-policy-debate/

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| Angesichts der außenpolitischen Herausforderungen, die es in Deutschland seit
| dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr gegeben hat, reicht es nicht aus, wenn
| die Parteien der Mitte die AfD und die BSW als „Putin-Parteien“ bezeichnen (auch
| wenn es durchaus Hinweise auf russischen Einfluss gibt) und ansonsten
| selbstgefällig bleiben. Der jüngste Erfolg der AfD und des BSW ist darauf
| zurückzuführen, dass viele Deutsche für ihre disruptiven Agenden empfänglich
| sind. Parteien der Mitte sollten sich darüber im Klaren sein, dass die
| Unterstützung der transatlantischen Partnerschaft und der europäischen
| Integration nicht selbstverständlich ist und dass die Notwendigkeit höherer
| Verteidigungsausgaben, einer leistungsfähigeren Armee und einer auf Abschreckung
| ausgerichteten Politik gegenüber Russland gut begründet werden muss.
|
| Die globale Zeitenwende stellt viele außenpolitische Gewissheiten Deutschlands
| auf die Probe. Der außenpolitische Populismus der AfD und des BSW sollte das
| Establishment dazu zwingen, den Mehrwert von Bündnissen wie der NATO und der EU
| besser zu begründen, die für die Aufrechterhaltung der Sicherheit und des
| Wohlstands der deutschen Bürgerinnen und Bürger unerlässlich sind. Berlins
| Außenpolitik braucht einen neuen gesellschaftlichen Konsens. Alle Parteien der
| Mitte, von den Grünen über die CDU bis hin zur Christlich-Sozialen Union, täten
| gut daran, die Debatte nicht den extremistischen Rändern zu überlassen, sondern
| sie für die Mitte zurückzuerobern.
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Mit dem bloßen „Begründen“ wird es nicht getan sein. — Also ein Dokument der
Ratlosigkeit.

„Wie aus einem Friedensprojekt ein Kriegsbund wurde
— 15. September 2024 — Roberto De Lapuente“
https://overton-magazin.de/hintergrund/politik/wie-aus-einem-friedensprojekt-ein-kriegsbund-wurde/
Es darf nicht stimmen.


https://friedenslage.blogspot.com/