„Aufgabe der Ukraine? Wagenknecht präsentiert ihren Verhandlungsplan für Putin“
https://www.n-tv.de/politik/Wagenknecht-praesentiert-ihren-Verhandlungsplan-fuer-Putin-article25226874.html
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| Sahra Wagenknecht würde dem russischen Präsidenten Wladimir Putin „einen Stopp
| der Waffenlieferungen“ anbieten, wenn der Kremlchef in Verhandlungen mit ihr
| „einem sofortigen Waffenstillstand an der jetzigen Frontlinie zustimmt“. Das
| sagte die BSW-Chefin in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“ aus Berlin auf
| die Frage, wie sie Verhandlungen mit Putin angehen würde. „Und dann müsste man
| darüber verhandeln, was in den Gebieten geschieht, wo aktuell die Russen
| stehen.“
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| Wagenknecht hält es für richtig, „die Menschen im Donbass und auf der Krim im
| Rahmen eines Referendums unter UN-Aufsicht zu fragen, zu welchem Land sie
| gehören wollen“.
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| Auf die Frage, was die Ukraine ihrer Meinung nach aufgeben muss, um Frieden zu
| ermöglichen, sagte Wagenknecht: „Sie muss bereit sein, zu verhandeln und
| Kompromisse zu schließen: vor allem bei ihrem Ziel einer NATO-Mitgliedschaft.“
| Die Strategie, der Ukraine Waffen zu liefern, damit sie den Krieg gewinnt, sei
| gescheitert, sagt die Politikerin. Ob und welche Zugeständnisse Russland
| erbringen soll, lässt Wagenknecht offen.
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Dieses Konzept ist auf den ersten Blick grundlegend richtig: Mit dem Schießen
aufhören und die Menschen entscheiden lassen, wohin zu gehören wollen: Zu
Russland oder zur Ukraine.
Dass es Probleme bei einer Realisierung geben dürfte, ist kein entscheidendes
Gegenargument: Wäre alles einfach, wäre der Krieg ausgefallen. Jedoch: Wenn ein
Krieg mit Verhandlungen beendet werden soll, kommen die Motive der
Kriegsparteien erst recht und verschärft zum Vorschein: Warum und wozu hat man
jahrelang Krieg geführt, 100.000 Tote und all die Zerstörungen, wenn das alles
sich in Verhandlungen in nichts auflösen kann? Ein Verhandlungsergebnis darf die
Ausgangslage des Kriegs nicht ins Unendliche verlängern. Der Erste Welkrieg
wurde wiederholt, weil das Diktat von Versailles eben kein Friedensvertrag
war. Die Staaten und die Menschen müssen, in aller Bitternis, einverstanden sein
können.
Wenn der Westen keine Waffen mehr liefert, aber Russland seine Logistik weiter
verbessern kann, sieht das nicht nach einem guten Fundament für Verhandlungen
aus. Der Vorschlag müsste weiter gehen: Das Kräfteverhältnis darf auf dem Boden,
in der Luft und auf dem Wasser in einer Entfernung von xx Kilometern von der
Front während der Verhandlungen nicht geändert werden. Solche ein Vorschlag,
eine Regelung müsste schon recht detailliert ausgearbeitet werden. Das
überfordert Politiker. Er ließe sich nur im Gespräch von Militärs beider Seiten
erarbeiten, unterstützt von ihren Politikern. Dazu wären jetzt schon
Geheimgespräche zur Deeskalation unter Beteiligung von Abgesandten aus den
Generalstäben der beteiligten Armee erforderlich, vielleicht sollten Militär der
indirekt beteiligten Armeen dazu kommen. Ziel: Waffenstillstand plus weitgehende
Entzerrung des Militärs auf beiden Seiten der Front. Selbst ein neuer Aufmarsch
soll nur noch schwer möglich sein.
Das zweite Problem sind die Territorien und die Grenzen. Nach der Schlussakte
von Helsinki, die von der Charta von Paris bestätigt wurde, bestimmen die
Staaten über ihre Territorien und ihre Grenzen und können sie nur in
gegenseitigem Einvernehmen ändern. Will man die Menschen in den Gebieten, die
jetzt unter russischer Kontrolle sind, abstimmen lassen, zu welchem Staat sie
gehören, stößt man gleich auf die Frage: Welche Menschen? Sollen auch die
Menschen dazu gehören, die nach 2014 oder 2022 aus Russland dazu gekommen sind?
Und was ist mit den Menschen, die diese Gebiete nach 2014 oder 2022 verlassen
haben? Die einen haben Eigentum erworben, dass die anderen (unfreiwillig)
zurückgelassen haben. Je länger der gegenwärtige Zustand andauert, desto
unmöglicher wird die Perspektive einer Abstimmung über die Zugehörigkeit von
Territorien zu welchem Staat auch immer. Kommen diese Menschen mit ihren
unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Geschichten auf dem selben Territorium
wiedr zusammen, sind lokale Konflikte unvermeidlich. Würden diese Gebiete wieder
faktischer Teil des ukrainischen Staates, muss mit massiven Repressionen gegen
jene gerechnet werden, die mit dem russischen Staat in irgendeiner Weise
zusammen gearbeitet haben: Als Polizisten, Lehrer oder als Angehöriger der
öffentlichen Verwaltung, der russische Kfz-Kennzeichen verteilt hat.
Andererseits dürfen die Menschen – so die Bestimmungen der Charta von Paris –
nicht nur auf ihre selbstgewählte, selbstbestimmte Weise leben, als Teil einer
Ethnie, einer Religion etc., sie haben auch noch Anspruch darauf, dass der
Staat, in dem sie leben, diese Lebensweise ausdrücklich fördert. Russen hatten
und haben ein Recht darauf, in der Ukraine als Russen zu leben, samt Schule und
Sprache, Ukrainer haben dasselbe Recht in den von Russland besetzten
gebieten. Und alle diejenigen, die sich nicht dazwischen entscheiden wollen,
Russen oder Ukrainer zu sein, weil sie eben die Leute „von hier“ sind, haben das
Recht, sich nicht oder von Fall zu entscheiden, wie es ihnen eben gefällt. Nach
der Charta von Paris hat der Staat nicht das Recht, die Menschen in eine von
ihm, dem Staat der Mehrheit, bestimmte Nationalität, Sprache oder Religion
hinein zu zwingen, ein Recht, dass sich der gegenwärtige ukrainische Staat
genommen hat, eine der Ursachen des Kriegs.
Keine Ahnung, wie man dieses Problemknäuel aufdröseln kann. Und vor allem auch
nicht, wer das machen kann. Ich kann mir da weder die Ukraine noch Russland als
leitende Territorialmacht vorstellen, wenn auch die Ukraine den
völkerrechtlichen Vorrang hat. (Und das alles düfte noch eine sehr
oberflächliche Beschreibung der Probleme sein.)
Um das Schießen zu beenden und einen Zwischenzustand bis zu einem Frieden zu
gewinnen, wird womöglich ein Protektorat mit den Gebieten der Krim und der
Oblaste Donezk, Luhansk, Saporoschje und Cherson unter Herrschaft der UN oder
einer Koalition weltweit wichtiger Staaten wie China, Indien, Brasilien,
Indonesien, der Türkei oder ähnlich erforderlich sein, das ein für die Ethnien
und/oder Sprachgruppen freies Leben ermöglicht. (Man müsste dazu die Geschichte
und die Erfahrung Bosniens studieren, perfekt und gewiss erfolgreich ist dieser
Vorschlag sicher nicht.)
Solche Überlegungen, so dilettantisch sie sein düften, gibt es in unserer Presse
nicht, auch nicht in den politischen Wissenschaften. Dort dominiert das
„Durchhalten“, auch um den Preis eines großen europäischen Kriegs.
„Die Ukraine hat sich in Kursk auf russisches Territorium vorgewagt. Moskaus
nukleare Abschreckung ist am Ende – Die abschreckende Wirkung der russischen
Atomwaffen ist heute geringer denn je. Die Gründe dafür liegen in Washington und
Berlin – und bei Putins Rhetorik. -Ulrich Speck 13.09.2024, 05.30 Uhr 5 min“
https://www.nzz.ch/pro/ukraine-krieg-das-ende-der-nuklearen-abschreckung-russlands-ld.1848212
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| Bereits am 11. März 2022 sagte Biden auf einer Pressekonferenz, wenn Amerika
| «offensive Ausrüstung» in die Ukraine senden würde, wenn es Flugzeuge und Panzer
| mit amerikanischen Piloten und Crews schicken würde, dann wäre man im dritten
| Weltkrieg. Amerika werde aber «nicht den dritten Weltkrieg in der Ukraine»
| führen. Von da an gehörte die Warnung vor einem weiteren Weltkrieg zum
| offiziellen Sprachgebrauch des Weissen Hauses. …
|
| Der Erfolg der Ukraine beim Überschreiten von vermeintlichen russischen roten
| Linien stellt solche Schlussfolgerungen infrage. All das spricht für die These,
| dass Nuklearwaffen vor allem ein starkes psychologisches Argument sind, ein
| Instrument der Abschreckung, dass sie aber im konkreten Konfliktfall womöglich
| weniger relevant sind als von vielen angenommen.
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Lasst es uns also ruhig versuchen: Russland blufft immer nur, wenn es Reaktionen
androht. Wer den Konflikt zwischen Russland und dem Westen seit dem Überfall der
USA auf den Irak und der folgenden Warnung Putins 2007 in München bis in die
Gegenwart überblickt, sieht sofort, dass die NZZ hier Unsinn schreibt. Es gibt
vielmehr eine sich selbst verblödende Mentalität im Westen, die den Jeltzin
fortschreibt: Der hat letztlich immer nachgegeben, so denkt man, also gehört es
sich für dessen Nachfolger, es genauso zu halten. Russland hat aber weder 2008
in Georgien noch 2014 in der Ukraine nichts unternommen, als seine Stellung
geschwächt werden sollte. Es hat zwar nach 2015 lange gewartet, bis klar wurde,
dass die Ukraine und der Westen das Minsk-Abkommen nicht erfüllen wollen, aber
dann hat es einen so nicht erwarteten Krieg begonnen. Und auf die Steigerung der
Einätze der Ukraine und des Westens – Erst Artillerie und Panzer, dann
Ausbildungen, immer mehr, auch Flugzeuge, Angriffe auf russische Ölraffinerien
etc – hat es reagiert. Die „Gegenoffensive“ von 2023 wurde zerschlagen, die
ukrainischen Städte stehen vor einem grausamen Winter usw. usf. Die Ukraine ist
nicht fern vom politischen und militärischen Zusammenbruch, so sieht es aus.
Aber Journalisten und viele Politiker behaupten, Russland würde nicht wirklich
reagieren, wenn die Nato der Ukraine die Erlaubnis gibt, mit der ständigen
Unterstützung der Nato Raketen aus den Beständen von Nato-Staaten über längere
Strecken bis in jeden Winkel Russlands zu schicken, um nicht nur Militäranlagen
zu zerstören, sondern den Staat selbst zu destabilisieren, um ihn zu
zerstören. In der russischen Atomdoktrin von 2020 ist festgelegt, dass Russland
Atomwaffen einsetzen wird, wenn seine Existenz als Staat bedroht ist. (Nicht
nur, wenn die andere Seite schon Atomwaffen eingesetzt hat, Russland verzichtet
nicht mehr auf den Ersteinsatz von Atomwaffen, es hat mit der Nato an dieser
Stelle gleich gezogen.) Aber dennoch: Russland wird diese Waffen nicht
einsetzen, wird gesagt, dazu seien die Risiken für Russland selbst zu groß. Und
es fällt gar nicht auf, dass man damit auf einmal gewaltiges Vertrauen in
Russland hat: Russland handelt auf einmal rational und tut aus Eigeninteresse
nichts, was dem Westen schaden könnte. MaW: Das Vertrauen in die russische
Führung wächst bei unseren Freunden der Steigerung des Kriegs unendlich, wenn
Russland so richtig mit Raketen beschossen wird. – Dieser Widerspruch fällt aber
gar nicht weiter auf.
Dieser Unfug erinnert an eine schon 100 Jahre Diagnose des Zustandes der Presse in der
Demokratie:
„Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu erfahren, was gut für sie ist …
19. September 2024 — Walter Lippmann“
https://overton-magazin.de/hintergrund/gesellschaft/die-oeffentlichkeit-hat-ein-recht-darauf-zu-erfahren-was-gut-fuer-sie-ist/
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| Heute sind sich die Menschen durchgehend im Klaren darüber, dass sie sich auf
| die eine oder andere Weise mit Fragen beschäftigen müssen, die komplizierter
| sind als alle Fragen, für deren Bearbeitung die Kirche oder die Schule sie
| vorbereitet hat. In zunehmendem Maße begreifen sie, dass ihr Verständnis bald an
| seine Grenzen stößt, wenn die relevanten Fakten nicht schnell und zuverlässig
| verfügbar sind. Sie sehen sich angesichts dessen zunehmend ratlos; und sie
| fragen sich, ob ein auf Zustimmung angewiesenes Regierungshandeln in einer Zeit
| Bestand haben kann, in der die Herstellung von Zustimmung2 eine unregulierte
| private Unternehmung ist. Denn in einem ganz konkreten Sinne ist die
| gegenwärtige Krise der westlichen Demokratie eine Krise des Journalismus. …
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| Insbesondere seit dem Krieg sind Redakteure überwiegend zu der Überzeugung
| gelangt, dass ihre höchste Pflicht nicht darin besteht, zu berichten, sondern zu
| belehren; nicht darin, Nachrichten zu drucken, sondern die Zivilisation zu
| retten; nicht das zu veröffentlichen, was Benjamin Harris »den Zustand der
| öffentlichen Angelegenheiten im In- und Ausland« nennt, sondern die Nation auf
| Kurs zu halten. Nach Art der englischen Könige haben sie sich selbst zu
| Verteidigern des Glaubens erkoren. »Seit fünf Jahren«, so Mister Cobb von der
| New York World, »gibt es in der Welt keinen freien öffentlichen
| Meinungsbildungsprozess. In Anbetracht der unerbittlichen Zwänge des Krieges
| haben die Regierungen die öffentliche Meinung kassiert. […] Sie lassen sie im
| Gleichschritt marschieren. Sie haben ihr beigebracht, stramm zu stehen und zu
| salutieren. […] Manchmal hat es den Anschein, dass Millionen von Amerikanern
| nach der Unterzeichnung des Waffenstillstands ein Gelübde abgelegt haben müssen,
| wonach sie nie wieder selbstständig denken würden. Sie waren bereit, für ihr
| Land zu sterben, nicht aber, für ihr Land zu denken.« Jene Minderheit, die stolz
| darauf ist, dafür zu denken – und die nicht nur bereit, sondern auch todsicher
| ist, dass sie allein weiß, wie sie für das Land zu denken hat –, hat die Theorie
| übernommen, dass die Öffentlichkeit erfahren sollte, was gut dafür ist.
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