Eskalation am Schwarzen Meer – Turn the Black Sea into a “NATO lake.”

Uwe Wötzel
4. Mai 2021
 
Eskalation am Schwarzen Meer
Turn the Black Sea into a “NATO lake.”1
 
In diesen Tagen beunruhigen uns sehr die gewachsenen Spannungen in Osteuropa. Die Ärztinnen für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) warnen vor einer Eskalation des Konfliktes zwischen Russland und der NATO und fordern die Bundesregierung auf, deeskalierende Maßnahmen zu ergreifen wie zum Beispiel die Einberufung des NATO-Russland-Rates2. In den Medien finden sich viele Berichte über die Stationierung russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine und auf der Krim. Wenig geschrieben wird über das NATO-Manöver Defender Europe 213, bei dem Deutschland zu einer Drehscheibe für Militärtransporte wird. Das größte Militärmanöver seit dem 2. Weltkrieg. Ziel der bis Juni 2021 dauernden Großübung mit 30.000 Soldatinnen aus den USA und anderen NATO-Staaten ist es, verschiedene Truppen über eine große Distanz nach Osten in die Schwarzmeerregion in unmittelbare Nähe zur Ukraine zu verlegen. Das Manöver ist im März gestartet, der Hauptteil der Truppenverlegungen soll nun im Mai erfolgen. Deutschland ist mit Budget und Personal beteiligt am Manöver. Zeitgleich beliefert die Türkei die Ukraine mit Drohnen4, deren Typ im vor wenigen Monaten im Krieg zwischen Aserbaidschan gegen Armenien viele Menschen tötete. Produziert werden diese Drohnen in einem Unternehmen eines Schwiegersohnes des türkischen Präsidenten mit Bauteilen aus Deutschland, Kanada und Österreich5.
Die Lage ist hochbrisant. Ohne Betrachtung aller Faktoren kann keine Entschärfung gelingen. Bei der Beurteilung der Sicherheitslage in Europa müssen wir feststellen, nicht Russland ist an die Grenze der NATO vorgerückt6, sondern die NATO bis an die Grenzen Russlands. Dabei hat sich die NATO gleichzeitig von 16 auf 30 Mitgliedsländer erweitert. Heute steht das große alte Ziel einer gemeinsamen Sicherheit mit Russland für Frieden in Europa, nicht auf der NATO-Agenda und auch nicht bei ihren einflussreichen strategischen Beratern in Washington.
Zehn Minuten Fußweg vom Weißen Haus befindet sich in Washington das Büro des Center for European Policy Analysis (CEPA)7. Diese Beratungsagentur liefert Argumente für militärische Aufrüstung und wird dafür finanziert von der US-Rüstungsindustrie, US-Ministerien und einigen privaten Stiftungen8. Ein bekannter Experte für CEPA ist u.a. Ben Hodges. General Hodges war Oberbefehlshaber der NATO in Europa und ist eine omnipräsente Stimme für Aufrüstung9. Hodges kritisierte 2020 die Pläne von Trump zum Abzug von US-Streitkräften aus Deutschland, mit den Worten, dies sei „ein riesiges Geschenk für den Kreml“10. Das Feindbild Russland ist die Folie für CEPA-Analysen und Konzepte. Seit Januar 2021 sorgt das „CEPA Strategy Paper – The Black Sea … or a Black Hole?”11von Hodges für Unruhe.
Was geschah, bevor Russland im April Truppen in der Schwarz-Meer-Region konzentrierte und die Angst vor militärischer Eskalation wuchs? Im Februar 2021 brachte die 1302. Plenarsitzung des Ständigen Rates der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) keine Fortschritte12, um mit geeigneten Maßnahmen das Abkommen13 von Minsk mit Leben zu erfüllen und den Konflikt zu entschärfen. CEPA-Strategien sind dafür keine gute Basis. Die Berliner Zeitung berichtet Anfang April ausführlicher als andere Medien über die Entwicklung des Ukraine-Konflikts 14 und verwies auf das Dekret 117 vom 24. März 202115 des ukrainischen Präsidenten Selenskyj. Er proklamierte mit diesem Dekret das Ziel, die Krim und den Donbass militärisch zurückzuerobern.Damit stellte sich Selenskyj gegen eigene Verpflichtungen aus den Minsker Abkommen und verschärft die Konfrontation gegen Russland.
Zurück zum „CEPA Strategy Paper – The Black Sea or a Black Hole?” Die CEPA-Vorschläge zielen auf ein Machtzuwachs der NATO an den Grenzen Russlands. Das Dokument benennt ein Programm, das von Selenskyj als starke Ermutigung für sein Dekret 117 interpretiert werden muss. CEPA beschreibt in dem Strategie-Papier zwölf Schritte:
 
1. Georgien und die Ukraine sollen schnell in die NATO kommen. Verstärkte militärische Kooperation soll dies vorbereiten und vertiefen.16
2. Die russische Schwarzmeerflotte ist durch stärkere NATO-Präsenz zu schwächen. Stationierung von NATO-Drohnen und Marschflugkörpern.
3. Unterstützung der Seestreitkräfte Rumäniens, Bulgariens, der Ukraine und Georgiens durch Flotten von unbemannten U-Booten im Schwarzen Meer. („Make the Russian Black Sea Fleet vulnerable“).
4. Stärkere, raffiniertere NATO-Großmanöver im Schwarzen Meer sind fortzusetzen.
5. Sicherstellung einer kontinuierlichen NATO-Marinepräsenz im Schwarzen Meer an 365 Tagen im Jahr.
6. Schaffung einer Infrastruktur zur Unterstützung der Marine in Rumänien, der Ukraine, Georgien und Bulgarien, die eine maximale US-Marinepräsenz ermöglicht.
7. Aufbau von NATO-Schwarzmeer-Airforce.
8. Aufbau eines NATO-Hauptquartier am Schwarzen Meer.
9. Entwicklung eines gemeinsamen Operationsbildes (Common Operating Picture, COP) für die Luft-, See- und Landstreitkräfte, Zusammenführung von nachrichtendienstlichen Informationen aus allen Quellen/Nationen rund um das Schwarze Meer und der NATO
10. Verbesserung und Integration der Luft- und Raketenabwehr mit Gefechtsstands-Übungen und Live-Übungen.
11. Das NATO-Einsatzgebiet Schwarzes Meer in die Zuständigkeit von NATO-SACEUR geben. Harmonisierung des Operationsraums und des rückwärtigen Gebiets mit größeren Investitionen in die transkontinentale logistische Infrastruktur, häufigeren Übungen und einer verbesserten militärischen Mobilität. Die Verbesserung des Cyberschutzes dieser Transport- und Einsatzführungsinfrastruktur ist für eine schnelle Verstärkung unerlässlich. Fähigkeiten, einschließlich Kommunikationsarchitektur, Einsatzführung, Transport, Aufklärung, Luft-/Raketenabwehr, Treibstoff, Munitionslager und Versammlungsräume, sollten ausgebildet und vorhanden sein.
12. Verbesserung der militärischen Mobilität, um eine schnellere Verlegung und Verstärkung zu ermöglichen. Die NATO, die EU und die Länder der Region müssen die Herausforderungen angehen, die sich aus der unterentwickelten Verkehrsinfrastruktur und der Überquerung der Karpaten ergeben. Bessere Nutzung der Donau für große militärische Massengüter, ähnlich wie es derzeit auf dem Rhein geschieht.
 
Aufrüstungs- und Strategiepläne dieser Art müssen als Konfrontationskurs, als Sabotageakt gegen die Suche eines Weges zu einer gemeinsamen Sicherheit mit Russland für Frieden in Europa betrachtet werden. Was ist zu tun? Wir müssen die Regierungen in Europa, insbesondere die Europäische Union auffordern, sich für gemeinsame Sicherheit mit Russland für Frieden in Europa aktiv einzusetzen. Die Meere der Welt müssen Meere des Friedens werden.
 

 
1 O-Ton aus https://cepa.org/the-black-sea-or-a-black-hole/
2  https://www.ippnw.de/startseite/artikel/de/aerztliche-friedensorganisation-warnt-1.html
3  https://www.europeafrica.army.mil/Portals/19/documents/Fact%20Sheets/DE21%20Factsheet20210408.pdf
4  https://netzpolitik.org/2020/neuer-ruestungsdeal-ukraine-will-kampfdrohnenflotte-aus-der-tuerkei/
5  https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ukraine-tuerkei-russland-101.html
6  Zur Vorgeschichte, sehr informativ: https://www.offiziere.ch/?p=34550
7  https://cepa.org
8  https://cepa.org/support/
9  https://cepa.org/programs/transatlantic-defense-and-security-program/special-projects-transatlantic-defense-and-security/pershing-chair/ Hodges in DIE ZEIT: „Am sichtbarsten ist das Versagen Deutschlands, den notwendigen Willen zum Erhalt der Nato aufzubringen, bei den Verteidigungsausgaben. Entgegen seiner Verpflichtung schafft es das Land noch immer nicht, mehr in seine eigene Verteidigung zu investieren – und damit seinen Beitrag zur kollektiven Sicherheit zu leisten.“ https://www.zeit.de/2019/51/nato-vertrauen-donald-trump-deutschland-sicherheitspolitik
10  https://www.dw.com/de/general-hodges-der-truppenabzug-ist-ein-riesiges-geschenk-für-den-kreml/a-54371225
11  https://cepa.org/the-black-sea-or-a-black-hole/
12 https://www.osce.org/files/f/documents/f/d/481231.pdf
13  https://www.bpb.de/201881/dokumentation-das-minsker-abkommen-vom-12-februar-2015
14  https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/ukraine-li.150872
15  https://www.president.gov.ua/documents/1172021-37533
16  Bisher: https://www.nato.int/structur/nmlo/links/yavoriv-training-centre.pdfhttps://www.nato.int/acad/fellow/97-99/budkin.pdf
 
 
 
Autor: Uwe Wötzel, Kontakt: uwe.woetzel@verdi.de
Gewerkschaftssekretär in der Bundesverwaltung der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di)
Vertreter von ver.di im Arbeitsausschuss der Initiative Abrüsten statt aufrüsten: https://abruesten.jetzt